Der
North Face Ultra Trail du Mont Blanc 2007
war mein Highlight in 2007. Noch nie habe ich mich mit so einem spezifischem Aufwand auf einen Wettkampf vorbereitet.


Startpunkt des UTB, Chamonix, 23. August 2007

Der Start am Freitag den 24.08.07 abends um 18.30h ist durchaus beeindruckend. Immerhin sind ca. 2.300 Läufer am Start in Chamonix auf einem Platz versammelt, der optische Eindruck bestärkt das Gefühl, hier laufen keinen Anfänger mit. Jeder Teilnehmer musste sich schließlich mit mind. 2 Ultra-Bergläufen qualifizieren. Meine Qualifikation erfolgt durch den Supermarathon am Rennsteig mit 73km sowie den K78 in Davos. Die Sollzeit für den UTB beträgt 46h. Es fällt mir schwer einzuschätzen, ob das viel oder wenig ist. Um 18.38h überschreite ich die Startlinie nachdem viele unterschiedliche Ansprachen gehalten wurden. Der maßgebliche Veranstalter Michel Poletti und seine Frau Catherine haben allen Glück gewünscht - das heißt hier "bon courage" und die Verrücktheit des Wettbewerbs kommentiert. Es sind neben den vielen unterschiedlichen Aussagen insgesamt 163km und 8.900HM (positiv und negativ) zu überwinden. Der höchste Punkt ist der Grand Col der Ferret mit 2.537m ü.M., ob es auch der Schwerste ist, wird sich noch zeigen. Ich habe mich für die Mitnahme von Stöcken entschieden, diese stecken in meinem Laufrucksack zusammen mit der restlichen Pflichtausrüstung, die einen Tag vor dem Start penibel kontrolliert wurde. Man braucht 2 funktionierende Stirnlampen, Ersatzbatterien, eine Pfeife, eine Rettungsdecke, eine lange Hose, eine Regenjacke, 1l Wasser und Essen, Tape und eine Binde, sowie einen Abfallbeutel, der sicher stellen soll, das man auch wirklich "Nichts" in der schönen Bergwelt zurückläßt. ...


Vor dem Start, das Teilnehmerfeld, UTB 24.08.2007

Der Startschuss erfolgt nach dem Titel, Conquest of Paradise von Vangelis, der Klassiker für echtes Gänsehaut-Feeling zum Start. Helmut läuft vor mir und er ist schnell. Ich staune, da ich mit leichtem Seitenstechen sein angekündigtes langsames Anfangstempo kaum mitgehen kann. Ich verliere ihn tatsächlich aus den Augen. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Meine Gedanken konzentriere ich jetzt auf die erste cut-off Zeit, ein vorgegebener Punkt der bis 0.45h und nach ca. 30km passiert sein muss, sowie mein Lauftempo. Immer schön locker bleiben. Die ersten 10km lassen sich bis auf ein paar wenige Ausnahmen gut laufen, dann kommt der erste Berg - der ist so steil, den gehen alle!


Helmut (links) und ich kurz vor dem Start des UTB

Langsam wird es dunkel, schließlich ist es Nacht und man sieht vor und hinter sich eine lange Schlange mit Lichtern. Ich schaue lieber zurück, denn man sieht vor sich die unglaubliche Höhe, die man noch erklimmen muss. Ich laufe nicht alleine. Es bilden sich immer wieder Gruppen, das hätte ich so nicht vermutet, vielmehr, dass sich das Teilnehmerfeld schnell auseinanderzieht. Bergab und auf der Geraden wird stets gelaufen, bergan wird, wenn steil, gegangen. Die Nacht geht ohne besondere Vorkommnisse vorbei, schließlich hatten wir das auch trainiert. Die Sonne geht auf, es wird warm, nein es wird heiss - mit ca. 27°C richtig heiss.


Unterwegs und noch gut gut in Schuss

Man muss Essen. An Verpflegung mangelt es nicht – es gibt von allem reichlich. Es gibt verschiedene Sorten von Müsliriegeln, Kuchen, Brot, Kekse, Orangen, Bananen, Wurst, Käse, Suppe und Getränke wie Wasser, Iso und Cola. Ich habe Probleme beim Essen, merke jedoch den Unterschied mit und ohne Essen am Berg. Also zwinge ich mir etwas Cracker mit Käse, Kuchen und Orangenstückchen rein. Trinken nehme ich an jeder Verpflegungsstelle mind. 3 Becher auf. Von jedem Einen. Manchmal auch 4 Becher.


Tempomachen dort wo es geht

Am Refuge de Bertone sehe ich einen Läufer, der am Berg auf der Stecke in embryonaler Stellung mit geschlossenen Augen liegt. Alle laufen vorbei bzw. steigen sogar über ihn drüber. So sieht also die am Start beschworene Hilfsbereitschaft der Läufer untereinander aus. Auch ich laufe vorbei. Es erinnert entfernt an die Todeszone am Mount Everest, dort hält man sich auch nicht mit "Umfallern" auf, aber hier sind wir auf knapp 2.000m ü.M.! Einen Berg weiter erwischt es dann auch mich. Es ist tatsächlich der Grand Col de Ferret, der mich zur Pause zwingt. Ich muss mind. 5-6 kurze Pausen zum Durchatmen machen. Ok, der Wettkampf hat jetzt für mich begonnen. In Courmayeur werde ich nochmals auf die Kampfrichter aufmerksam. Sie verbieten einer Frau den Wäschebeutel Ihres Mannes zu tragen. Jeder soll seine Sachen schließlich selbst organisieren. Wir passieren Italien, man merkt es deutlich, die Organisation ist spürbar schlechter und der Gruß hat verändert. Ich laufe über eine befahrene Strasse zwischen Autos durch und freue mich auf das letzte Drittel der Strecke, welches einfacher sein soll, als die Abschnitte davor. Das letzte Drittel wird jedoch gleich durch einen echten Hammerberg eingeleitet. Es geht enorm steil immer weiter einen mir unbekannten Berg hoch. Ich muss wieder Pausen machen, setze mich dabei jedoch nicht hin, sondern, gehe nach ca. 1min. Stehen wieder langsam weiter. Ich habe eine Mütze gegen die Sonne auf dem Kopf, der Schweiss läuft in Strömen.


Bergab ist keine Erholung

Die 2. Nacht ist hart. Ich habe einen Franzosen im Champex kennen gelernt, wir unterhalten uns über die Familie, ich kann mein französisch an ihm ausprobieren und wir bekommen noch Gesellschaft. Wir sind jetzt zu viert und beschließen zusammen zu bleiben. Ich laufe an 3. Stelle. Plötzlich stürzt der 1. Läufer auf gerader, jedoch steil abfallender Strecke und rollt einen gefährlich steilen Berg hinunter. Wir halten kurz ziehen ihn hoch, danach sind wir jedoch nur noch zu dritt. Ich laufe jetzt vorne. Die 2 Franzosen scheinen befreundet, sprechen einem Liegengebliebenen Mut für den Aufbruch zum nächsten Zelt zu, welches beheizt sein soll. Die Strecke wird jetzt immer schwieriger. Das Profil ist definitiv Klettersteig. Ich werde müde, versuche wieder etwas Konversation, um wach zu bleiben, ich habe eigenartige Gedanken, bin geistig abwesend. Hinter mir stürzen wiederholt Läufer. Ich drehe mich nicht um, sondern rufe nur „ca va?“ Die Antwort klingt stets verbissen, aber die anderen Läufer sind echt tough, die bleiben nicht liegen, die stehen sofort wieder auf! Ich habe Blasen an den Füssen, die begünstigt durch die Nässe und den Schlamm, den ich auf einer schlammigen Kuhweide mitgenommen habe mir immer mehr Probleme machen. Ich entscheide mich für eine Behandlung „Podologic“. Ich sitze mit 5 Italienern auf einer Bank und warte ewig, dabei verliere ich insgesamt 1h und 22min. an Zeit, bis ich schließlich aus dem Zelt bin. Dafür hat man mich jedoch noch massiert, das war angenehm. Der Rest der Strecke wird jedoch zur Qual mit den vielen Blasen an den Füssen, ist jeder Schritt schmerzhaft. Im Morgengrauen des 2.Tages sehe ich surreale Bilder. Die anderen Läufer sind auch stehend k.o. Im Licht eines Zeltes beobachte ich wie ein Läufer erfolglos versucht neue Batterien in seine Stirnlampe einzubauen, ein Zweiter liegt mit dem Kopf auf dem Tisch und scheint zu schlafen, andere haben eine Tasse Suppe in der Hand und starren einfach ins Leere. Bei diesen Zombies will ich nicht bleiben, nach einer kurzen Verpflegungspause gehe ich weiter.


Noch ca. 10km bis Chamonix

Nicht nur die Fersen, sondern auch der linke Fußballen und die Seite des Fußes ist zwischenzeitig in Mitleidenschaft gezogen. Irgendwann entscheide ich mich nur noch zu gehen. In Chamonix angekommen, ist noch eine Runde von 6km mit einem erstaunlichen Höhenprofil zu bewältigen. Jetzt bin ich echt gefrustet, ständig werde ich von langsamen Läufern überholt, das Rennen könnte eigentlich längst zu Ende sein, schließlich bin ich längst in Chamonix angekommen. Ich höre von Zuschauern "trois kilometere", ca. 2km und knapp 20min später wieder "trois kilomètre". Ich habe das Gefühl ich komme nie an. Jetzt noch scheitern, kommt nicht in Frage und wenn ich kriechen muss.


Geschundene Füsse, 2007

Den Zieleinlauf mache ich gehend, alle anderen Laufen die letzten Meter, schließlich stehen die Zuschauer Spalier und feuern an – „Allez-Allez-Allez!“. Das ist mir jedoch jetzt egal. Mit einer Zeit von 38h42min. bin ich deutlich besser als erwartet. Im Ziel angekommen, setze ich mich auf eine kleine Mauer, ziehe die Schuhe aus und schaue meine Füße an. Ich entdecke eine herrenlose Dose Bier am Verpflegungsstand. Das trinke ich langsam in der Sonne sitzend, bis sich eine Kreislaufschwäche breit macht und mir der kalte Schweiss ausbricht und ich taumelnd in den Schatten abziehen muss. Im Anschluss gehe ich zu North Face. Der Hauptsponsor hat seinen Laden direkt neben dem Ziel. Dort kaufe ich mir ein paar Badeschuhe, dann hole ich noch meine 2 Kleidersäcke. Ich lasse die restlichen Blasen öffnen, danach gehe ich ganz langsam zum Auto zurück. Neben dem Auto, lege ich mich auf den Parkplatz direkt an der Strasse, telefoniere kurz mit Helmut – er hat trotz seiner Erkältung nicht aufgegeben - Respekt! Ich schließe die Augen. Helmut kommt gegen 14.45h zum Auto, er hat seine Sachen noch nicht geholt. Wir fahren los, einige Zeit später sind wir in unserem Hotel Olympique und bestellen jeder ein großes Bier, Kuchen und Sandwich. Wir unterhalten uns über die Highlights, die Fehleinschätzungen, die Verlierer und den eigenen Erfolg gegen 18.00h liege ich im Bett – ich bin ein Finisher!


Finisher 2007

Später erfahre ich, dass von den 2.300 Startern ca. 900 Läufer auch einige von den Top Athleten aus USA aufgegeben haben und ich den 652. Platz belegt habe. Helmut hat auch eine gute Platzierung errungen und liegt mit 3-4h unter der Sollzeit deutlich innerhalb der 46h. 




Panorama Blick auf die Gletscher des Mont Blanc, 2007

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Jens geht laufen